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Psychiatrie am Übergang vom Jugendlichen- zum Erwachsenenalter

Liestal, 10. Juni 2024

Die Jahrestagung der Psychiatrie Baselland hat sich der psychiatrischen Versorgung von Jugendlichen am Übergang zum Erwachsenenalter gewidmet. Menschen dieser Altersgruppe sind besonders anfällig für psychische Erkrankungen. In der Behandlung dieser Jugendlichen gilt es, deren speziellen Bedürfnisse zu berücksichtigen und Kontinuitätsbrüche zu verhindern.   

Zum ersten Mal haben die Erwachsenen- sowie die Kinder- und Jugendpsychiatrie zur gemeinsamen Jahrestagung der Psychiatrie Baselland (PBL) nach Liestal eingeladen. Entsprechend wurde das Thema gewählt: Transitionspsychiatrie. Diese beschäftigt sich mit der psychiatrischen Versorgung von Jugendlichen zwischen 14 und 25 Jahren, also am Übergang ins Erwachsenenalter.

Inanpruchnahme von Behandlungen steigt weiter

Die Inanspruchnahme psychiatrischer Behandlungen habe stark zugenommen, gerade bei jungen Menschen. "Die meisten psychischen Erkrankungen beginnen bereits im Jugendalter", sagte der Direktor Erwachsenenpsychiatrie der PBL, Professor Matthias Jäger, vor rund 150 Fachpersonen. Künftig würden sich noch mehr junge Menschen behandeln lassen, da die Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen fortschreite. Eine Erhebung des Bundesamtes für Statistik (Obsan) von 2022 hat ergeben, dass in der Schweiz rund 375'000 junge Menschen leben, die ihre psychischen Probleme nicht behandeln lassen.

Jugendliche sind vielen Risiken ausgesetzt

"Jugendliche sind vielen Herausforderungen ausgesetzt, die zu psychischen Belastungen führen", sagte Professor Jochen Kindler, seit April 2024 Direktor Kinder- und Jugendpsychiatrie (KJP) der PBL. Dazu gehörten die Pubertät, der Druck unter Gleichaltrigen (Peers) oder in der Schule, Zukunftsangst, Veränderungen in der Familie, Substanzgebrauch oder Cybermobbing.

Wichtige Aspekte der Transitionspsychiatrie sind laut Jochen Kindler die Früherkennung und -intervention, Behandlungskontinuität vom Jugend- ins Erwachsenenalter mit personalisierten Therapieplänen, interprofessionelle Behandlungsteams, der Fokus auf entwicklungsspezifische Bedürfnisse, der Einbezug der Familie und der Zugang zu schulischen und beruflichen Ressourcen.

Gute Erfahrungen mit Peers

In seinem Fachreferat setzte sich Jochen Kindler dafür ein, auch in der Kinder- und Jugendpsychiatrie Peers einzusetzen. Das sind Menschen mit eigener Psychiatrie-Erfahrung, die eine Zusatzausbildung absolviert haben. Sie bringen die Sicht der Patientinnen und Patienten in die Behandlung ein. In der Erwachsenenpsychiatrie sind Peers etabliert, auch in der PBL, und eine wertvolle Unterstützung.

Jochen Kindler hat an seinem früheren Arbeitsort in den Universitären Psychiatrischen Diensten Bern mit Peers gearbeitet. Zu Beginn sei er eher skeptisch gewesen. "Es wurde mir aber schnell klar, dass Peers eine Verbindung zu den Patientinnen und Patienten herstellen können, wie es die professionellen Behandler kaum schaffen." Grosse Hoffnungen setze er auf den Peer-Einsatz bei Essstörungen von Jugendlichen, aber auch in Krisensettings.

"Peer-Support im Transitionsalter", so Jochen Kindler, "sollte auf allen Ebenen und Settings der psychiatrischen Versorgung etabliert werden." Die Unterstützung durch Peers führe zu höherem Selbstwertgefühl der Patientinnen und Patienten, zu grösserer Zufriedenheit, wirksameren Bewältigungsstrategien, weniger Depressionen und weniger Angst.

Einblicke in Wissenschaft und Therapie

Die Referentinnen und Referenten beleuchteten zahlreiche weitere Aspekte der Transitionspsychiatrie. Der Psychologie-Professor Alexander Grob von der Universität Basel sprach über die Entwicklungsschritte und Herausforderungen in der Adoleszenz vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Wandels. Dr. Lea Pucci-Meier vom Bundesamt für Gesundheit referierte zur psychischen Gesundheit und Häufigkeit psychischer Erkrankungen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Schweiz.

Wie sieht es mit dem Versorgungsbedarf in der Transitionspsychiatrie aus? Über diese und weitere Aspekte handelte der Vortrag von Diplom-Psychologin Elisa König von der Universitätsklinik Ulm. Über die Behandlung von Entwicklungs- und Persönlichkeitsstörungen in der Adoleszenz informierte Professorin Annette Streeck-Fischer von der privaten "International Psychoanalytic University" Berlin.

Professor Martin Debbané von der Fakultät für Psychologie und Erziehungswissenschaften der Universität Genf führte dem Publikum die Entwicklung der Mentalisierungsfähigkeit junger Menschen näher und erläuterte, was diese für die Psychotherapie bedeutet. Bei der Mentalisierungsfähigkeit geht es darum, psychische Zustände wie Gedanken, Gefühle, Wünsche, Bedürfnisse oder Sehnsüchte bei sich selbst und anderen zu verstehen und zu interpretieren.

Stimmen aus der Praxis

Die Chefärztin der ambulanten KJP der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, Dr. Maurizia Franscini, berichtete aus der Praxis der Krisenintervention bei Jugendlichen. Ein eigenes Zentrum für Transitionspsychiatrie hat die Privatklinik Meiringen im Januar 2024 in Thun eröffnet. Chefarzt und Standortleiter ist Dr. Stephan Kupferschmid, der über die bisherigen Erfahrungen dieses integrierten Behandlungsangebotes für Menschen zwischen 18 und 25 Jahren orientierte.

Stephan Kupferschmid plädierte für eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Erwachsenenpsychiatrie sowie Kinder- und Jugendpsychiatrie. Denn für Adoleszente brauche es spezifische Interventionen und Herangehensweisen für Diagnostik, Therapie und Pflege.

Die Thematik Transitionspsychiatrie der PBL-Jahrestagung stiess auf durchwegs positive Resonanz der Teilnehmenden, die aus allen psychiatrischen Fachdisziplinen und von unterschiedlichen Schweizer Kliniken gekommen waren.

Kontakt
Prof. Dr. med.
Jochen Kindler
Direktor und Chefarzt
Kinder- und Jugendpsychiatrie
 Liestal