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Die psychische Gesundheit in der Bevölkerung rückt zunehmend ins öffentliche Interesse, die Zahl der Patientinnen und Patienten steigt seit Jahren – auch in der Psychiatrie Baselland. Der Blick in die Zukunft der psychiatrischen Versorgung muss deshalb neu ausgerichtet werden. Darüber haben Fachpersonen an der Jahrestagung der PBL diskutiert.

Liestal, 10. Mai 2022

Demografischer und sozialer Wandel, wirtschaftlicher Druck, Pandemien, Klimawandel, Krieg, Hunger und Flucht – PD Dr. med. Matthias Jäger beschreibt an der Jahrestagung der Psychiatrie Baselland (PBL), die als Zoom-Event abgehalten wurde, ein herausforderndes Bild gesellschaftlicher Veränderungen. Es sind Herausforderungen auch mit Folgen für die Psychiatrie.

Trends in der Psychiatrie

Denn die Psychiatrie, sagte der Direktor Erwachsenenpsychiatrie der PBL, müsse sich diesen Veränderungen anpassen, um ihrem gesellschaftlichen Auftrag gerecht werden zu können. Die stetig steigenden Patientenzahlen fallen zusammen mit aktuellen Herausforderungen wie Fachkräftemangel, kaum grundlegend neuen therapeutischen Ansätzen mit wissenschaftlich belegter Wirksamkeit, einer unzureichenden Differenzierung bei den Behandlungsaufträgen zwischen Behandlung und Betreuung und einer zunehmenden Psychiatrisierung sozialer Probleme.
 

Was es für die Zukunft braucht

Matthias Jäger wünscht sich für eine gut aufgestellte Psychiatrie unter anderem eine verbesserte Infrastruktur, weniger Verschwendung fachlicher Ressourcen, fokussierte Angebote und Therapiekonzepte und eine Förderung der Aus- und Weiterbildung der Fachpersonen. Geprägt wird die psychiatrische Zukunft auch von gesundheitspolitischen Veränderungen wie etwa hoher Kostendruck, Fokus auf ambulante statt stationäre Behandlungen, verstärkte Orientierung der Therapien auf die individuellen Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten sowie von der integrierten Versorgung. Damit ist ein bedarfsgerechter Wechsel zwischen verschiedenen Behandlungssetting gemeint, etwa stationäre Behandlung und Home Treatment bei fortgesetztem Therapieprogramm.

Psychoanalyse: aktueller denn je

PBL-Oberarzt Dr. med. Sebastian Thrul hielt vor den über 100 Teilnehmenden aus dem In- und Ausland ein Plädoyer für die Psychoanalyse. Diese sei als Behandlungsmethode nach wie vor grundlegend für die Psychiatrie. Gleichzeitig sei sie aber auch eine Zumutung in einer Zeit, die von neoliberaler Flexibilisierung und Ökonomisierung geprägt sei. "Die Psychoanalyse weist uns als Fachpersonen darauf hin", so Sebastian Thrul, «dass der Raum für engagiertes und transformierendes Zuhören er-kämpft werden muss. Insbesondere schwer kranke Menschen brauchen häufige und verlässliche the-rapeutische Kontakte, damit die Behandlung ihnen genug Halt geben kann.»

Begegnungen zwischen Betroffenen und Therapierenden

Anhand eines Fallbeispiels aus der transkulturellen Sprechstunde stellte PBL-Oberärztin Dr. med. Serena Galli den inneren Dialog dar, wie er sich zwischen der ärztlich-psychiatrischen und der psychoanalytisch-beziehungsorientierten Position in Begegnung mit Patientinnen und Patienten entwickeln kann. Sie zeigte auf, wie diese Positionswechsel zwischen Denksystemen in ihrer Wirkung auf das therapeutische Beziehungsgeschehen reflektiert werden können. Auf die berufliche Identitätsentwicklung übertragen, kann die Reflektion dieser Rollenwechsel in einer integrativen Haltung aufgehen, die es ermöglicht, sich auf das «Fremde» des Anderen einzulassen.

Grenzen der Nahbarkeit

In der interessanten und lebhaften Diskussion brachten die Tagungsteilnehmenden auch kritische Positionen vor. So sollte die Perspektive der Patientinnen und Patienten ein stärkeres Gewicht in der Therapie bekommen, etwa in der Frage, was Betroffene und Therapierende voneinander lernen könnten. Eine wichtige Rolle in diesem Zusammenhang kommt Genesungsbegleiterinnen und -begleitern (Peers) zu. Diese neue Berufsgruppe von Menschen mit Erfahrungen mit einer psychischen Erkrankung sei sehr wertvoll für die Behandlungsteams, die therapeutische Haltung und für die Patientinnen und Patienten.

"Aber verstehen Peers die Patientinnen und Patienten wirklich besser als die Therapeutinnen und Therapeuten?", fragte ein Diskussionsteilnehmer. Auf das eigene Erleben bezogen, könne nicht immer davon ausgegangen werden, dass Peers per se einen besseren Zugang zu den Patientinnen und Patienten hätten, da psychische Erkrankungen sich je nach Diagnose und betroffener Person stark voneinander unterschieden.

Menschen mit einer Depression müssten nicht die gleichen Erfahrungen gemacht haben wie jene mit einer Psychose, jede individuelle Lebens- und Krankheitsgeschichte unterscheide sich stark in vielfältigen Aspekten. Die Nähe der Peers zu den Betroffenen könne aber in Bezug auf die Rolle als Patientin oder Patient, den Umgang mit der psychischen Belastung und der damit verbundenen Stigmatisierung durch die Gesellschaft sehr wirksam werden.
 

Weitere Referierende und Themen

Neben Matthias Jäger, Sebastian Thrul und Serena Galli von der PBL sprachen Thelke Scholz (Die Rolle der Psychiatrie bei der Genesung von Psychose), Dr. med. Timo Beeker (Die digitale Psychiatrie zwischen User-Empowerment und Psychiatrisierung), Dr. med. Michael Koslowski (Die Bedeutung psychotroper Substanzen für die psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgung), Dr. med. Dr. phil. Samuel Thoma (Verrückter Raum – therapeutischer Raum. Schizophrenie und Sozialpsychiatrie als Raumproblem), Dr. med. Franziska Baessler (Innovative Lehrkonzepte zur psychischen Gesundheit in der ärztlichen Aus- und Weiterbildung), Sebastian Rüegg (Mein Garten ist auch dein Garten – Überlegungen zum Nutzen einer interprofessionellen Aus- und Weiterbildung in der Psychiatrie).


 

Kontakt

Prof. Dr. med.
Matthias Jäger
Direktor Erwachsenenpsychiatrie
Chefarzt Privatklinik