Auf den Punkt gebracht

Liebe Leserinnen und Leser

Die Akutabteilungen psychiatrischer Kliniken kümmern sich primär um Menschen in besonders vulnerablen psychischen Ausnahmesituationen und Krisen. Dies erfordert ein hohes Mass an Professionalität sowie diagnostischem und therapeutischem Fachwissen. Es ist eine zentrale Herausforderung in der akutpsychiatrischen Versorgung, geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen, die für die Betroffenen und Mitarbeitenden ein therapeutisches Milieu, aber auch Schutz und Sicherheit bieten, ohne die Autonomie und die Handlungsmöglichkeiten unangemessen einzuschränken.

Die zweite anspruchsvolle Aufgabe ist die Ausgestaltung der therapeutischen Beziehung. Diese ist – im Gegensatz zum therapeutischen Einzelsetting – oft geprägt von hohem Zeitdruck, unvollständigen Informationen sowie von Multilateralität durch Einbezug mehrerer involvierter Personen (interprofessionelle Teams, Angehörige, Institutionen etc.).

Dennoch besteht der Anspruch und die Notwendigkeit, unter diesen Rahmenbedingungen nicht nur medikamentöse Behandlungen, sondern auch fokussierte psychotherapeutische Interventionen und psychosoziale Unterstützung anzubieten. Erschwerend hinzukommen kann die Fremd-Initiierung der Behandlung im Rahmen einer Fürsorgerischen Unterbringung oder unter Anwendung von psychologischem Druck und informellem Zwang.

Und schliesslich liegt eine weitere Herausforderung darin, dass die meisten Mitarbeitenden ihre psychiatrische Aus- und Weiterbildung im Akutsetting beginnen, sodass die Teams oft zu einem hohen Anteil aus jungen Fachpersonen mit begrenzter Berufserfahrung bestehen.

Aufgrund dieser anspruchsvollen Kombination an Faktoren ist eine spezialisierte Auseinandersetzung und Weiterentwicklung der Akutpsychiatrie zweifellos angebracht, angesichts ihrer Bedeutung in Forschung, Literatur und Bildungsangeboten aber stark unterrepräsentiert. Ein neues Veranstaltungsformat, das "Praxisforum Akutversorgung", welches seit 2017 jährlich im Wechsel in Berlin und in der Schweiz stattfindet, adressiert genau diesen Themenbereich.

An zwei Tagen im September haben sich in diesem Jahr in der PBL in Liestal rund 140 Teilnehmende verschiedener Berufsgruppen aus 30 Kliniken im deutschsprachigen Raum im Rahmen von Plenarvorträgen, Workshops und Podiumsdiskussionen zur praktischen Fragen der Ausgestaltung akutpsychiatrischer Versorgung kritisch auseinandergesetzt.

Themenschwerpunkte waren unter anderem: Grundlagen der interprofessionellen Zusammenarbeit, (aufsuchende) Alternativen zur stationären Akutversorgung, Vermeidung von Zwangsmassnahmen, therapeutische Beziehung und Genesungsbegleitung sowie die Integration dieser Themenbereiche in die Aus- und Weiterbildung.

Durch den Austausch über Modellprojekte, Best-Practice-Beispiele, Ergebnisse der praxisnahen Versorgungsforschung und kontroverse Diskussionen von Haltungsfragen werden zunehmend in vielen Kliniken Weiterentwicklungs- und Erneuerungsprozesse stimuliert, die eine Professionalisierung und Spezialisierung der akutpsychiatrischen Versorgung fördern.      

 

Herzliche Grüsse

Matthias Jäger