Neue Station für Essstörungen und Krisenintervention
Psychische Erkrankungen vermeiden

Eine Studie zeigt: 59 Prozent der Lernenden kämpfen während ihrer Berufsbildung mit Schwierigkeiten, oft sind sie psychischer Natur. Etwa 13 Prozent der Lehren werden abgebrochen.

Psychische Auffälligkeiten bei Lernenden sind häufig: Vier von zehn junge Menschen schliessen ihre Berufsbildung problemlos ab; bei sechs von zehn nimmt sie jedoch einen problematischen Verlauf. Bei 56 Prozent dieser Lernenden gelingt es, die Schwierigkeiten während der Ausbildung zu lösen, bei 44 Prozent bleiben die Probleme bis zum Schluss ungelöst. Mehr als ein Drittel dieser ungelösten Berufslehren werden abgebrochen. Etwa 40 bis 50 Prozent der Lernenden mit Problemen sind zumindest vorübergehend wegen psychischer Schwierigkeiten in Behandlung.

Dies sind Resultate einer breit angelegten Studie zum Umgang mit psychisch belasteten Lernenden unter der Leitung von WorkMed, das arbeitspsychiatrische Kompetenzzentrum der Psychiatrie Baselland. Die Untersuchung liefert erstmals umfassende Daten zu den Erfahrungen der Berufsbildnerinnen und Berufsbildner mit Lernenden in der Deutschschweiz (siehe Kasten).

Familie und Freunde wichtig

Die Studie zeigt weiter: Jugendliche profitieren von einem unterstützenden und funktionierenden familiären Umfeld, das Orientierung gibt. Zudem beeinflussen gute Freunde und eine aktive Freizeit den Lehrverlauf klar positiv. Wie sich die Lernenden verhalten, ist ebenfalls sehr wichtig: Jugendliche, welche sich an Regeln halten können, pünktlich und gut ins Team integriert sind, haben eine grosse Chance für einen erfolgreichen Lehrabschluss.

Defizite oft schon länger bekannt

"Wenn Lernende psychosozial belastet sind, von der Familie wenig unterstützt werden und zuviel Alkohol trinken oder kiffen, tragen ein höheres Risiko für Probleme in der Lehre", sagt Studienleiter Niklas Baer. Je mehr Defizite Lernende haben, desto höher ist das Risiko für Probleme in der Lehre. Besonders negativ wirke sich ein Manko im zwischenmenschlichen Bereich aus. Diese Defizite seien oft schon während der Schulzeit bekannt. "Diese Informationen fliessen jedoch nicht in geeigneter Form weiter, weil man den Jugendlichen eine neue Chance geben will. Dies verhindert aber auch eine gezielte Unterstützung von Anfang an ", sagt Niklas Baer.

Unterschiede zwischen Geschlechtern

Männliche Lernende weisen in fast allen Bereichen mehr Defizite auf als ihre Kolleginnen. Allerdings haben sie weniger Angst, Fehler zu machen. Männliche Jugendliche sind eher passiv, suchen seltener professionelle Unterstützung und neigen zu übermässigem Konsum von Suchtmitteln wie Alkohol oder Cannabis. Weibliche Jugendliche sprechen Probleme häufiger an, halten sich häufiger an Abmachungen und erscheinen auch eher bei der Arbeit, obwohl es ihnen nicht gut geht.

Seher engagiert, aber …

Berufsbildnerinnen und Berufsbildner sind oft sehr engagiert und bieten viel Unterstützung. Sie fühlen sich in vielen Bereichen ihrer Arbeit sicher. Eine Ausnahme sind jedoch die Themen rund um psychische Schwierigkeiten. Allgemein scheint es wenig Austausch zu geben, wobei Berufsbildnerinnen und Berufsbildner mit zunehmender Berufserfahrung sowie solche aus kleineren bis mittleren Unternehmen eher eine Zusammenarbeit mit Dritten wünschen. "Meist wird bei Schwierigkeiten zu lange gewartet, bis spezialisierte Stellen beigezogen werden – wenn überhaupt", sagt Niklas Baer. Dabei verstreiche wertvolle Zeit für gezielte Hilfe, während sich die Schwierigkeiten verstärkten oder sogar chronifizierten. Dies liege aber auch an den Spezialisten, zum Beispiel den Behandlungspersonen oder der IV: Diese seien zu wenig zugänglich.

Frühere Intervention dank mehr Wissen

Die Resultate der Studie sollen dazu beitragen, dass Berufsbildnerinnen und Berufsbildner bei psychischen Auffälligkeiten von Lernenden früher und gezielter intervenieren können. Für die Zukunft ist eine Sensibilisierung und Befähigung durch mehr Wissen zum Thema psychische Gesundheit von Lernenden zu empfehlen. Gleichzeitig ist die Entwicklung von gut zugänglichen und spezifischen Angeboten für Berufsbildnerinnen und Berufsbildner erforderlich.

Quelle: WorkMed/Gesundheitsdepartement Basel-Stadt

Befragung mit mehr als 6'000 Berufsbildnerinnen und Berufsbildner

Mit der Studie "Umgang mit psychisch belasteten Lernenden" ist erstmals in der Schweiz eine vertiefte Datengrundlage zu den Erfahrungen von Berufsbildnerinnen und –bildnern mit psychisch auffälligen Lernenden erarbeitet worden. Ein Forschungsteam hat dazu Antworten von Berufsbilderinnen und -bildern ausgewertet, die im Frühling 2021 während zwei Monaten zu ihren Erfahrungen mit den Lernenden befragt worden waren.

Ein grosser Teil der Probandinnen und Probanden wurde über die Berufsbildungsämter der Kantone Basel-Landschaft, Basel-Stadt, Solothurn, Aargau, Bern sowie über Verbände auch in anderen Deutschschweizer Kantonen angeschrieben. Total haben 9‘057 Personen auf die Online-Umfrage zugegriffen, wovon sich 6‘365 Berufsbildnerinnen und –bildnern an der Umfrage beteiligt haben.

Die Studie wurde vom arbeitspsychiatrischen Kompetenzzentrum WorkMed der Psychiatrie Baselland (Barbara Schmocker, Tanja Kuhn und Niklas Baer) geleitet. Daran beteiligten sich zudem Fachpersonen der  HSD Hochschule Döpfer, Köln, des Gesundheitsdepartements und des Erziehungsdepartements Basel-Stadt, des Gewerbeverbandes Basel-Stadt, der Stiftung Rheinleben, Basel und des Arbeitgeberverbandes Basel-Stadt.

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