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Psychische Erkrankungen vermeiden

Schuld und Scham sind häufige Gefühle, mit denen Angehörige von psychisch erkrankten Menschen umgehen müssen. Oft stecken sie in einem Dilemma. Betroffene Angehörige haben sich darüber ausgetauscht.

Angehörige von Betroffenen können durch ihre Betreuungsaufgaben und ihre Verantwortung gegenüber diesen Menschen selbst psychische Probleme bekommen. Die schwierigen Gefühle von Angehörigen und ihre Ursachen waren Thema einer Podiumsdiskussion im Zentrum Schlossacker in Binningen.

Der stellvertretende Direktor Erwachsenenpsychiatrie der Psychiatrie Baselland, PD Dr. med. Dr. phil Daniel Sollberger, erläuterte in seinem Vortrag die Zusammenhänge zwischen Schuld und Scham. Während die Scham das Selbst oder die Person als ganze in ihrer Identität betrifft, bezieht sich das Schuldgefühl auf das eigene Verhalten und eine konkrete Handlung.

Angehörige im Dilemma

Sich verantwortlich zu fühlen für den kranken Angehörigen, kann zu Schuld- und Schamgefühlen führen. Es sind Gefühle, die beide in Widerspruch geraten können. So will zum Beispiel eine Frau mit den Belastungen und Aufgaben durch ihren psychisch kranken Ehemann zurechtkommen, schämt sich aber, wenn ihr das nicht gelingt. Gleichzeitig fühlt sie sich schuldig, wenn sie sich gegenüber ihrem Mann abgrenzt, um sich selbst zu schützen.

Ein anderes Beispiel: Eine Tochter fühlt sich schuldig am Zustand ihrer psychosekranken Mutter in der Annahme oder auch aufgrund von Andeutungen ihres Vaters, dass ihre Geburt die bereits instabile Gesundheit der Mutter weiter verschlechtert haben könnte. Gleichzeitig schämt sie sich, dass es mit der Mutter soweit gekommen ist.

Lieber von Peinlichkeit sprechen als von Scham

In der Podiumsdiskussion wurden die Angehörigen zu ihren Erfahrungen mit den Gefühlen der Scham und Schuld sowie den Problemen der Verantwortung befragt. Die Wahrnehmungen der Anwesenden unterscheiden sich in dieser Hinsicht sehr stark voneinander. Ein Mann meinte, dass er nie Scham verspürt habe, während er im weiteren Verlauf des Gesprächs erkennen liess, dass er dieses Gefühl nur anders benenne. Statt von Scham spreche er von Peinlichkeit.

Alle anwesenden Angehörigen auf dem Podium waren sich aber einig: Die Scham bezieht sich nicht auf die Krankheit selbst, sondern auf die Situationen in denen sich die Krankheit im Verhalten der Betroffenen wiederspiegelt.

Was Angehörigen helfen kann

Angehörigen hilft es, über die eigene Situation zu sprechen. Oft erkennen sie erst dann, dass viele Menschen ähnliche Erlebnisse teilen. Besucherinnen und Besucher des Anlasses erzählten von Freizeitbeschäftigungen und Kontakten zu anderen Menschen, die ihnen geholfen hätten, sich bewusst zu werden, dass sie auch ausserhalb der Familie eine Identität haben.

"Sie müssen einfach loslassen": Diesen Ratschlag haben schon viele Angehörige zu hören bekommen. Doch so leicht dieser Satz für Aussenstehende klingen mag – die Umsetzung fällt niemandem der Angehörigen leicht. Die Verantwortung sei sehr gross, hiess es von anwesenden Angehörigen, doch gehe sie oft über das hinaus, was man selbst leisten könne.

Verantwortung abgeben

Die Scham der Angehörigen sei dann am grössten, hiess es in der Diskussion weiter, wenn sie es nicht schaffen, Verantwortung abzugeben. Sie empfinden Scham, weil sie nicht loslassen können, aber auch dann, wenn ihnen das ein Stück weit gelingt und sie sich selbst Hilfe suchen. Eine Angehörige sagte: «Loslassen kann nicht funktionieren, wenn man niemanden hat, der übernimmt». In solchen Momenten haben viele Angehörige das Gefühl, sie seien ausgeschlossen.

Wichtig und oft entlastend für Angehörige ist eine gute Zusammenarbeit zwischen ihnen und den therapierenden Fachpersonen. Es kann in vielen Fällen sowohl für die erkrankte Person als auch für ihre Angehörigen helfen, wenn Angehörige in eine Behandlung einbezogen werden. Das setzt selbstverständlich das Einverständnis der Patientin oder des Patienten voraus.

Koordinationsgruppe Angehörige

Das Referat mit Podiumsdiskussion im Zentrum Schlossacker in Binningen gehört zur Veranstaltungsreihe der "Koordinationsgruppe Angehörige" der Psychiatrie Baselland, der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel, der Stiftung Rheinleben, Basel sowie der Gesundheitsdirektionen der Kantone Basel-Landschaft und Basel-Stadt. Der nächste Vortrag ist am 29. September 2022 zum Thema "Rechte von Angehörigen".

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