Liebe Leserinnen und Leser

Die Covid-19-Pandemie hat das Gesundheitssystem in den letzten Monaten stark gefordert. Die psychische Gesundheit vieler Menschen – mit und ohne Vorerfahrung mit psychischen Problemen – ist durch die Pandemie selbst, die Schutzmassnahmen, die veränderten sozialen Gepflogenheiten und die ökonomischen Folgen erheblich unter Druck gekommen.

Die psychiatrische Versorgung wurde gleichzeitig mit speziellen Fragen der Verhältnismässigkeit der Schutzmassnahmen und deren Auswirkungen auf die psychiatrische Behandlung konfrontiert. Es zeigten sich unmittelbare Folgen für die therapeutische Kontinuität bei laufenden Behandlungen; aber auch für die niederschwellige Zugänglichkeit für Menschen mit dringlichem Unterstützungsbedarf sowie für die soziale Inklusion von Personen mit andauernden psychischen Beeinträchtigungen.

Während der Lockdown-Phase wurden in einigen Regionen psychiatrische Angebote teilweise gezielt geschlossen oder reduziert. Die Bewegungsfreiheit und die sozialen Kontakte von Menschen in betreuten Wohninstitutionen wurden eingeschränkt, die psychiatrischen und psychosozialen Hilfsangebote wurden und werden in unterschiedlichem Ausmass beeinträchtigt von Massnahmen wie der physischen Distanz, der Maskenpflicht und räumlicher Isolation bei Infektionsverdacht.

Teilweise drohten der psychiatrische Behandlungsauftrag und die Therapieindikation durch die Massnahmen zur Infektionskontrolle aus dem Blick zu geraten. Kompensatorische Massnahmen wie Telemedizin, räumliche Anpassungen zur Einhaltung von Abstandsregeln und weitere Schutzvorkehrungen konnten die Einschränkungen nur teilweise abfangen.

Die Psychiatrie ist darum herausgefordert, ihre Angebotsorganisation auf ihre Tauglichkeit für erschwerte Bedingungen zu überprüfen, wie wir sie in den letzten Monaten erlebt haben und mit noch unbestimmtem Verlauf auch weiterhin antreffen werden. Selbstverständlich müssen die in der Gesellschaft geltenden allgemeinen Schutzmassnahmen umgesetzt, vulnerable Gruppe geschützt und das Infektionsrisiko in allen direkten Interaktionen minimiert werden.

Die Konsequenzen für die psychiatrische Behandlung dürfen dabei aber nicht aus dem Blick geraten, therapiebeeinträchtigende Faktoren sollten möglichst zugunsten von vertretbaren Alternativen (z.B. fernmündliche Behandlungen) vermieden werden. Die psychiatrischen Leistungen sollten in bedarfsgerechten diversifizierten Rahmenbedingungen angeboten werden. Dabei sollten ambulanten und den derzeit noch unterrepräsentierten mobilen aufsuchenden Therapiesettings auch zur Behandlung von Krisen und zur langfristigen Betreuung besondere Aufmerksamkeit zukommen.

Voraussetzung für die Umsetzung dieser Beispiele ist, dass die entsprechende Infrastruktur bereitgestellt, Fachpersonen qualifiziert und die Abgeltungssysteme angepasst werden. Wenn die Erfahrungen der letzten Monate konstruktiv einfliessen in die Planung der psychiatrischen Versorgung mit Fokus auf die subjektive Perspektive und den Bedarf der Patientinnen und Patienten, sollte die Psychiatrie für zukünftige vergleichbare Ausnahmesituationen vorbereitet sein.
 

Herzliche Grüsse

Matthias Jäger